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Donnerstag, 22. November 2018

Vor Ort - Einblicke in die Freiwilligenarbeit

Ihr Lieben,
es ist jetzt einige Zeit her und mit ein bisschen Abstand würde ich euch gerne von meiner Zeit in einem Geflüchteten-Camp in Griechenland mit Taten statt Warten berichten. Kurz zu mir, ich bin Mitte zwanzig, habe mich in meinem Jurastudium auf das Migrationsrecht spezialisiert und beschlossen, dieses Jahr ein zweites Mal als Freiwillige nach Griechenland zu fahren.

Anfang September bin ich in Griechenland angekommen. Dort bin ich zu unserer befreundeten Organisation foodKIND dazugestoßen, welche das ganze Jahr über in Griechenland humanitäre Hilfe leistet. Derzeit ist foodKIND in der Nähe von Athen ansässig. Sie versorgen dort zwei Geflüchteten-Camps mit einem warmen Mittagessen, das gemeinsam mit den Geflüchteten zubereitet wird, und gestalten ein Programm für die Kinder.

Ich selbst war zuvor noch nie in einem offiziellen Camp. Bei der letzten Fahrt haben wir die Geflüchteten direkt an der Fluchtroute unterstützt. Und auch die zweieinhalb Wochen vor Ort haben gerade einmal für einen ersten Eindruck gereicht. Dennoch möchte ich euch ein paar Erlebnisse schildern und von ein paar Fragen erzählen, die sich mir gestellt haben. Gerade wenn ihr überlegt, ähnliches zu unternehmen, kann dieser Bericht vielleicht hilfreich sein.

Das Camp, in dem ich mitarbeitete, beherbergt zur Zeit ca. 600 Menschen. Nach den Regeln der Camp-Leitung von IOM, eine große zwischenstaatliche Organisation, durfte man nicht in die Unterkünfte selbst. Außer den Schlafgelegenheiten ist in dem Camp nicht viel vorhanden. Es gibt ein kleines Schulgebäude in einem bedauerlichen Zustand, in dem vor langer Zeit mal Unterricht angeboten wurde. Daneben ist ein kleiner Spielplatz, welcher in Deutschland zwecks Sicherheitsbedenken schon längst geschlossen worden wäre. Das Highlight an moderner Ausstattung sind geschätzt 40 Minibacköfen inklusive Herdplatten, mit denen die Bewohner kochen können.

Als Teil einer Hilfsorganisation vor Ort bekam ich vor Ort die Möglichkeit mitzugestalten. Wer immer eine Idee und Muße zur Umsetzung hatte, konnte nach Absprache mit der Camp-Leitung loslegen. In der Zeit, in der ich da war, versuchten wir, einen kleinen Garten herzurichten, wir bauten einen Sandkasten und kurze Zeit nach meiner Abreise wurde für die Kinder mit Spraydosen ein dauerhaftes Hüpfspiel auf den Boden gemalt – ja, es sind Kleinigkeiten, aber sie machen das Bild, das sich bot, etwas bunter.

Kernaufgabe war allerdings das mittägliche Kochen. In einem uralten Postauto transportierten wir morgens gegen 10 Uhr die Kochutensilien ins Camp und bauten die Kochstelle auf. Die Idee war, mit den Geflüchteten gemeinsam zu kochen und diese auch zur ermuntern, eigene Rezepte mitzubringen und die Leitung beim Kochen zu übernehmen. Die Umsetzung klappte gut. Neben den erwachsenen Helfern sah man sich allerdings auch regelmäßig von zahlreichen Kindern umgeben, die unbedingt mithelfen wollten. Diese auf den Nachmittag zu vertrösten, an dem das Kinderprogramm geplant war, war nicht immer leicht.

Bis das Mittagessen zubereitet und verteilt war, war meist 15 Uhr. Während der Zeit im Camp stieß ich bald auf die Frage, wie ich mich eigentlich richtig verhalte. Was darf ich und was lass ich lieber bleiben. Wenn man sich die offiziellen Verhaltensregeln von Hilfsorganisationen durchliest, stößt man immer auf ähnliche Aussagen: „Behandele alle Geflüchteten gleich und favorisiere keinen“; „Baue keine persönliche Bindung auf“. Was das im Einzelfall bedeutet, fand ich teilweise schwer zu bestimmen. Während des Kochens hat man beispielsweise viel Zeit für Gespräche. Nur wenige der Bewohner können allerdings Englisch, sodass ein engerer Kontakt nur zu einer kleinen Gruppe an Menschen entsteht. Ist das bereits ein Favorisieren Einzelner, das Spannungen im Camp verursacht? Oder beginnt das erst, wenn man den Wenigen dann eine Extra Portion Essen, Infos oder Materielles weitergibt? Bei einer anderen Gelegenheit brachte ich einer jungen Frau deutsche Vokabeln bei. War das okay? Man könnte sagen, ich hätte eher Deutschunterricht organisieren müssen, zu dem alle Zugang haben. Damit läge keine Bevorzugung vor. Wenn dies aber im Moment nicht umsetzbar ist, helfe ich dann der Einzelperson auch nicht? Ich habe mich dazu entschlossen, lieber einer Person zu helfen, als gar keiner. Ob das richtig ist, weiß ich nicht.

An den Nachmittagen gestalteten wir für die Kinder des Camps ein buntes Bastel-, Mal- und Sportprogramm, bei dem immer ca. 30 Kinder im Alter zwischen zwei und fünfzehn Jahren anwesend waren. Wir bastelten Papierflieger und Traumfänger, bemalten Tiermasken, sprangen Seil und spielten Dosenwerfen.

Hier ein Beispiel, wie ein guter Tag ablief:
Wir kamen an und hatten ca. 90 Tiermasken im Vorhinein aus Papier ausgeschnitten, Löcher hineingebohrt und elastisches Band dabei. Die Kinder waren kontaktfreudig, sie kämpften gerne darum, wer einen beispielsweise an der Hand halten durfte. Die Kinder durften sich Masken aussuchen und bemalen. Da wir anfangs große Materialverluste hinnehmen mussten, bekam jedes Kind nur einen Stift, den es bei Bedarf gegen eine andere Farbe austauschen durfte. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit klappte das gut. Die Kinder verschwanden nach und nach mit teils mehreren bunt bemalten, schönen Tiermasken.

Ein Beispiel, wie ein Chaos-Tag verlief:
Wir hatten uns für den Sporttag verschiedene Spiele ausgedacht: Dosenwerfen, Ringe werfen, Bowling. Unsere Spielgeräte stellten wir im Voraus kostengünstig selbst her. Wir recycelten alles Mögliche aus der Küche, wir sammelten Muscheln, Stöcke und Sand aus der Natur oder fragten bei Cafés nach, ob sie Flaschendeckel oder Ähnliches für uns sammeln könnten.
Als wir nun unsere verschiedenen Stationen aufbauten, bemerkten wir, dass der größte Spaß der Kinder an diesem Tag war, unsere Pläne zu durchkreuzen. Unsere mühsam aus Luftballons und Sand gebastelten Bälle wurden auseinandergenommen und mit den Dosen vom Dosenwerfen sind die Kinder davongerannt.
Wir Helfer waren eben auch keine Pädagogen und wussten nicht immer, was die beste Herangehensweise war. Es war ein Ausprobieren, ein langsames etablieren von Regeln und ein herausfinden, welche Spiele funktionieren und welche eben nicht.

Zur Zeit der Abreise am späten Nachmittag waren wir noch von vielen Kindern umgeben, die das Kinderprogramm wahrgenommen hatten. Diese begeisterten sich schnell für das Trittbrett an unserem Transporter, auf das sich einige gleichzeitig stellen konnten. Vom Zeitpunkt dieser Entdeckung an verzögerte sich unsere Abreise erheblich.
Ich kann kein Arabisch, kein Farsi oder eine der anderen Sprachen, die von den Kindern im Camp gesprochen wurden. Mein schnell erlerntes 'Yalla', was so viel heißt wie 'los, vorwärts', mit dem wir die Kinder zum Verlassen des Trittbretts auffordern wollten, wurde von diesen leicht ignoriert.
Bis zu meiner Abreise hatten die Kinder definitiv die Oberhand. Es dauerte zunehmend länger, das Camp zu verlassen. Ich bin gespannt, inwiefern sich das noch ändert.

Zweieinhalb Wochen war ich insgesamt vor Ort. Als ich meine Reise geplant habe, dachte ich, das ist lange. Vor Ort erschien es mir als sehr kurz. Unser Team bestand aus Freiwilligen aus verschiedensten Regionen der Welt und es war schön, in diesem bunten Team zu arbeiten.

Wenn ihr euch vorstellen könnt, mit Geflüchteten zu kochen oder ein Kinderprogramm auf die Beine zu stellen, habt ihr jederzeit die Möglichkeit dazu. Wendet euch an Taten statt Warten oder foodKIND und ihr könnt am gleichen Einsatzort helfen. Je nachdem in welchem Camp ihr arbeitet, können sich eure Erfahrungen schon wesentlich unterscheiden. Es gibt gut geführte Camps mit Schulen, Umsonstläden, Sport- und Kulurveranstaltungen und es gibt Camps, wie auf der Insel Lesbos, in denen immer noch ein fortwährender Ausnahmezustand herrscht. Wie auch eure Erlebnisse sind, ihr könnt auf jeden Fall darüber berichten.

Bis dahin,
Iris